PROMOS Bericht, Petersburg 2011

Материал из Department of Theoretical and Applied Mechanics
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Wohnheim für internationale Studierende der polytechnischen Hochschule in St. Petersburg
Meine beiden Mitbewohner aus Kasachstan in gemeinsamem Wohn- und Schlafzimmer
Diplomvortrag einer Studentin am Institut für theoretische Mechanik
Gastfreundliche Russen und ich bei einem Heimspiel von „Zenit“
Mein früherer Austauschpartner Edvard und ich vor dem damaligen Gemeinschaftsprojekt von Schülern beider Schulen
Gastfamilie mit Austauschpartner Edvard und mir während meines Austausches im Jahr 2001

Abschlussbericht über den Gastaufenthalt an der SPbPTU

Zu Beginn des neunten Schuljahres stellte sich für meine Mitschüler und mich vor über zwölf Jahren die Frage nach der Wahl einer dritten Fremdsprache. Mir persönlich fiel die Entscheidung damals nicht besonders schwer, da neben Russisch lediglich Alt-Griechisch an meinem Gymnasium angeboten wurde. Und weil mein Ehrgeiz, nach vier Jahren Lateinunterricht, eine weitere tote Sprache zu lernen, sehr begrenzt war, entschied ich mich damals für Russisch. Leider ließ aber schon nach wenigen Monaten engagierten Russisch-Lernens das Interesse nach, und mein Arbeitseinsatz ging auf ein Minimum zurück. Daher ist leider nicht ganz so viel vom Russischen hängengeblieben, wie es vielleicht möglich gewesen wäre. Nichtsdestotrotz erinnere ich von damals noch heute die Grundstruktur der relativ komplizierten russischen Grammatik, die für den Alltag wichtigen, für uns 15-jährige Jungs damals besonders komisch klingende Vokabeln sowie die kyrillische Druck- und Schreibschrift. In sehr guter Erinnerung sind mir außerdem die 14 Tage in St. Petersburg geblieben, die einige meiner Mitschüler und ich im Jahre 2001 im Rahmen eines Schüleraustausches erleben durften. Diese ereignisreichen zwei Wochen waren mein erster echter Kontakt mit der russischen Kultur. Und auch wenn ich es zu der Zeit nicht gleich erkannte, so machte Russland schon damals einen ganz einzigartigen Eindruck auf mich.

Zehn Jahre danach, im Februar des Jahres 2011, stand ich im Büro von Dr. Sergiy Antonyuk vom Institut für Partikeltechnologie der TU Hamburg-Haburg. In der Zwischenzeit hatte ich mein Abitur gemacht, Zivildienst geleistet sowie mein Maschinenbaustudium bis auf die Diplomarbeit abgeschlossen. Auch hatte ich mein Russisch in einigen Volkshochschulkursen wieder etwas entstaubt. Das Studium war also so gut wie zu Ende und der Sprung ins kalte Wasser der Berufswelt stand bevor. Und so fasste ich den Entschluss, vorher noch einmal in dieses eine Land zu reisen, welches mich vor zehn Jahren so sehr faszinierte. Helfen konnte mir dabei Herr Dr. Antonyuk, der in engem Kontakt steht mit Professor Krivtsov vom Institut für theoretische Mechanik der polytechnsichen Hochschule in St. Petersburg. Ihm erzählte ich von meiner Idee einer Gastwissenschaftlertätigkeit in Russland, und so kam es, dass ich zwei Monate später für 10 Wochen an jedem Institut von Professor Krivtsov in St. Petersburg arbeitete und forschte.

Von Hamburg nach St. Petersburg sind es gerade einmal knapp 1500km. Bei einer solchen Distanz innerhalb Europas erwartet man nicht unbedingt gravierende kulturelle Unterschiede, zumal die Geisteshaltung der Russen dem deutschen Naturell tatsächlich in vielen Punkten zu ähneln scheint. Während der zweieinhalb Monate an der polytechnischen Hochschule konnte ich mir mein ganz eigenes Bild vom größten Land der Erde und seinen Einwohnern machen. Der dabei gewonnene Eindruck lässt sich für mich in zwei wesentliche Aspekte gliedern. Zum Einen überwältigte mich während meiner gesamten Zeit eine bemerkenswerte Gastfreundschaft,zum Anderen faszinierten mich kleine aber feine Unterschiede, die den Alltag eines russischen Studenten vom dem deutschen Studentenleben unterscheiden. Was die Gastfreundschaft betrifft, so muss ich meinen Bericht schon vor der Abreise aus Hamburg beginnen. Ich schrieb nämlich meinem Austauschpartner aus dem Jahr 2001, Edvard, kurz zuvor eine kurze E-Mail um ihn über meinen geplanten Aufenthalt in Russland zu informieren. Und obwohl ich zu dem Zeitpunkt von Edvard nicht einmal wusste, ob er überhaupt noch in St. Petersburg lebte, hatte ich schon am selben Tag eine Antwort in meinem Postfach. In seiner Nachricht erkundigte sich Edvard nach meiner genauen Ankunftszeit und bot mir gleichzeitig an, mich vom Flughafen abzuholen. Und als ich dann schließlich in St. Petersburg war, erneuerte er stets seine Einladung, mit ihm und seiner Familie oder seinen Freunden Zeit zu verbringen, um gemeinsam zu essen, zu feiern und sogar zu verreisen. Aber es waren nicht nur Edvard und seine Bekannten, die dieses Bild der russischen Gastfreundschaft in meinem Kopfe zeichneten. Auch Professor Krivtsov und die Mitarbeiter des Institutes für theoretische Mechanik kümmerten sich stets geduldig um meine Bedürfnisse. So zum Beispiel engagierten Sie sich für mich, als es um meine Wohnsituation ging, und erfüllten schließlich meinen zunächst unmöglich erscheinenden Wunsch auf gemeinsame Unterbringung mit einheimischen Studenten. Selbst von meinen Mitstudenten und Kollegen luden mich einige sogar ein, mit Ihnen zusammen ihr Heimatdorf zu besuchen. Einmal hatte ich das Glück, diese russische Warmherzigkeit auch von mir wildfremden Personen zu erfahren, nachdem ich nämlich an einem sonnigen Wochenendtag mit einer Gruppe russischer Passanten ins Gespräch kam und diese mich darauf hin kurzerhand für einen Nachmittag in ihren Kreis aufnahmen, was unter anderem den gemeinsamen Besuch eines Erstligaspiels des lokalen Fussballclubs Zenit St. Petersburg bedeutete.

Wie schon angedeutet, möchte ich aber auch auf einige andere Unterschiede zwischen Deutschland und Russland eingehen, die mir als Austauschstudent aufgefallen sind. Denn auch wenn es eigentlich die Bundesrepublik ist, die zumindest hierzulande für ihre schwerfällige Bürokratie geradezu berüchtigt ist, konnte ich in Russland einen noch trägeren und vor allem antiquierteren Verwaltungsapparat kennenlernen. Hierzu sollte man wissen, dass Russland ein Land der Laufzettel und Stempel ist, und dass oft schon für kleine Angelegenheiten die schriftliche Zustimmung unterschiedlicher Sachverwalter nötig ist. Und so kam ich mir schon bei der Beschaffung einer Türöffnungskarte, die zum Betreten meines Wohnheims nötig war, vor wie Asterix auf der Jagd nach Passierschein A38 im Film „Asterix erobert Rom“. Die Liebe der Russen zu Urkundenpapier und blauer Tinte erkennt man auch an den kleinen Büchlein, die jeder Student bei Prüfungen mit sich trägt. In diesen Büchlein, gebunden in dunkelblauem Leder und bestickt mit einem goldenem Wappen der Hochschule, besiegelt der Professor nach jeder Prüfung die erreichte Note mit seiner Unterschrift . Und was die Abschlusszeugnisse eines jeden Diplomanden betrifft, so lagern diese im zentralen Magazin der Hochschule. Braucht ein Student sein Zeugnis, wie es oft für bürokratische Vorgänge der Fall ist, so kann er es sich lediglich für ein paar Tage ausleihen. Doch so schwerfällig die russiche Bürokratie auch sein mag, klappen tut letztendlich fast alles, nicht zuletzt dank einer Armee hochengagierter und erfahrener SekretärInnen, die immer genau wissen, wer auf welchem Formular und in welcher Reihenfolge unterschreiben muss. Und obwohl die technische Ausstattung der universitären Einrichtungen in Russland generell hinter dem Niveau deutscher technischer Unis zurückbleibt, ist das Niveau des dortigen Ingenieurstudiums aus meiner Sicht beachtlich. So kommt es zwar vor, dass die Diplomvorträge eines Jahrganges wegen Platzmangel auch mal im Büro des Professors stattfinden müssen, nichtsdestotrotz aber beindruckten mich meine russichen Kommilitonen immer wieder mit einem tiefen theoretischen Wissen.

Zurück in Hamburg beschäftige ich mich derzeit mit der Ausarbeitung der Abschlussarbeit meines Maschinenbaustudiums. Dank der engen Zusammenarbeit des Institutes für theoretische Mechanik in St. Petersburg mit dem hiesigen Institut für Partikeltechnologie, kann ich meine dortige Forschungstätigkeit im Rahmen meiner Diplomarbeit hier fortsetzen. Es ergab sich ein interessantes Thema für eine Diplomarbeit bei Professor Heinrich, dem Leiter des Institutes für Partikeltechnologie. Durch die Nutzung einer Online-Dokumentation des aktuellen Standes meiner Arbeit, kann auch Professor Krivtsov in St. Petersburg jederzeit aktuelle Resultate einsehen und diese gegebenenfalls kommentieren. Durch diese Umstände fügt sich meine Gastwissenschaftlertätigkeit nicht nur nahtlos in den Verlauf meines Studiums ein, ich kann sogar nach meinem Aufenthalt am Institut von Herrn Krivtsov noch von seiner Erfahrung und der seiner Mitarbeiter profitieren.

Während meiner Zeit in St. Petersburg konnte ich mich daher persönlich sowie fachlich weiterentwickeln. Und so kommt zu der äußerst erfreulichen Tatsache, dass der Kontakt mit meinem alten Freund Edvard wieder auflebte, eine bessere Kenntnis der russischen Sprache hinzu, sowie wertvolle Erfahrungen mit internationaler Zusammenarbeit und viele Bekanntschaften mit äußerst netten Russen.


M. Szelwis, Oktober 2011